"In wenigen Monaten zum Mars": Was nukleare Antriebe für die Raumfahrt bringen

Ideen für nukleare Raumfahrtantriebe existieren seit langem. Nun wollen die USA und andere Länder die Entwicklung vorantreiben – mit Chancen, aber auch Risiken.

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Illustration eines nuklear-thermischen Antriebs aus dem Projekt "Alumni" von der europäischen Raumfahrtagentur ESA.

(Bild: ESA)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christian Rauch
Inhaltsverzeichnis

Im April soll die Raumsonde Juice zum Jupiter und seinen Monden starten. Obwohl sie sich viermal Schwung bei Manövern an Venus, Erde und Mond holt, wird sie über acht Jahre unterwegs sein. Und würden mit derzeitiger Technologie Astronauten zum Mars aufbrechen, müssten sie mit einer Reisedauer von drei Jahren rechnen. Denn eine energieoptimale Bahn fordert ein halbes Jahr Reisezeit pro Richtung und mindestens zwei Jahre Marsaufenthalt.

Grund für die Dauer sind die chemischen Antriebe, auf die die Raumfahrt seit jeher setzt. Chemische Triebwerke, die etwa Wasserstoff mit Sauerstoff verbrennen, sind schubstark. Für Transporte von der Erde in den Orbit sind sie unverzichtbar. Für lange Missionen im Weltraum aber ist ihre Effizienz begrenzt. Abhilfe könnten nukleare Antriebe schaffen, bei denen ein Kernspaltungsreaktor die Energie erzeugt. Die NASA und die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums haben im Januar eine Kooperation bekannt gegeben, mit dem Ziel, einen nuklear-thermischen Antrieb bis zum Jahr 2027 im Weltraum zu testen.

"Bei einem nuklear-thermischen Antrieb heizt der Reaktor einen leichten Treibstoff wie Wasserstoff auf etwa 2000 Grad auf", erklärt Professor Uwe Apel, Studiengangsleiter für Luft- und Raumfahrttechnik an der Hochschule Bremen. "Das Gas strömt dann mit bis zu 9000 Metern pro Sekunde aus der Düse, das ist doppelt so schnell wie bei den besten chemischen Triebwerken." Diese höhere Effizienz ermöglicht eine größere Beschleunigung – ein nuklear-thermisches Triebwerk würde beim Start aus dem Erdorbit heraus mehrere Stunden lang 'brennen'. "Man käme in wenigen Monaten zum Mars, bliebe dort einige Monate und wäre in ein paar Monaten wieder zurück – ein Jahr Reisezeit", erklärt Apel.

Das schüfe weitere Vorteile: Weniger Strahlenbelastung während des Flugs, mehr Flexibilität bei Missionsabbrüchen und genügend Strom, die der Reaktor überdies liefert. "Man könnte den Antrieb auch so dimensionieren, dass man gleich schnell wie mit chemischen Triebwerken fliegt, dafür aber wesentlich mehr Nutzlast befördert", führt Apel aus – für unbemannte Frachttransporter eine interessante Option.

Eine zweite Bauform nuklearer Antriebe, die "nuklear-elektrische", nutzt den Kernreaktor rein zur Erzeugung von Strom. Dieser versorgt ein magnetoplasmadynamisches oder Ionentriebwerk, das ein Gas wie Argon oder Xenon ionisiert und mittels magnetischer oder elektrischer Felder beschleunigt und ausstößt. Am ersteren Typ arbeitet die Universität Stuttgart mit dem Start-up Neutron Star Systems. Ionentriebwerke wurden bereits in Raumsonden und Satelliten eingesetzt, wie Hayabusa-2, BepiColombo und Starlink. Hier waren stets Solarzellen die Energiequelle. Ersetzt man diese durch einen Kernreaktor, steht wesentlich mehr Energie zur Verfügung.

Die Austrittsgeschwindigkeit und damit die Treibstoffeffizienz des Triebwerks sind noch höher als bei nuklear-thermischen Antrieben. Da die Schubkraft jedoch gering ist, muss sehr lange beschleunigt werden. Bei einem bemannten Marsraumschiff würde die Beschleunigungszeit viel Flugzeit "auffressen", zugleich aber wenig Treibstoff benötigen. Vorteilhaft sind nuklear-elektrische Antriebe besonders für unbemannte Missionen zu fernen Zielen. Der "Jupiter Icy Moons Orbiter" (JIMO), den die NASA vor 20 Jahren entwickeln wollte – das Projekt wurde 2005 eingestellt – wäre mit einem nuklear-elektrischen Triebwerk in wenigen Jahren direkt zu den Jupitermonden geflogen.

Internationale Abkommen wie die "Principles Relevant to the Use of Nuclear Power Sources in Outer Space" der Vereinten Nationen von 1992 sowie das "Safety Framework for Nuclear Power in Space" von 2009 versehen die Nutzung nuklearer Systeme im Weltraum mit einem Regelwerk für maximale Sicherheit.

Auch der Atomteststoppvertrag von 1963, der "radioaktive Ablagerungen außerhalb des eigenen nationalen Territoriums" verbietet, kann für einen nuklear-thermischen Antrieb relevant sein. Er ist ein "offenes System" – Wasserstoffleitungen führen hier direkt durch den Reaktor, der vor die Austrittsdüse montiert ist. Für Professor Georg Herdrich von der Universität Stuttgart wäre es unvertretbar, einen solchen Reaktor mit einer Trägerrakete in den Erdorbit zu befördern: "Jede Trägerrakete kann einen Fehlstart haben, was in diesem Fall sehr negative Folgen für die Umwelt und Menschen haben kann." Alternativ solle man den Antrieb samt Reaktor im Erdorbit – oder noch besser auf dem Mond – bauen und Uran in unterkritischer Form dorthin befördern, meint Herdrich. Er sitzt als technischer Vertreter Deutschlands in der UN-Arbeitsgruppe für nukleare Anwendungen im Weltraum. Weniger kritisch ist der Transport eines nuklear-elektrischen Triebwerks durch die Atmosphäre, denn hier ist der Reaktor ein geschlossenes System zur Stromerzeugung. Ein solches lässt sich so bauen, dass es kritische Szenarien übersteht.

Wollen NASA und DARPA bereits 2027 einen nuklear-thermischen Antrieb im All testen, kommen sie um den Transport des Reaktors auf einer Rakete nicht herum. Angesichts der Risiken könnte die Mission auf politische und gesellschaftliche Hürden stoßen, weshalb Experten wie Uwe Apel und Georg Herdrich den Zeitplan für schwer umsetzbar halten.

Klar ist aber: Die großen Atommächte sind an einer Nutzung nuklearer Energie im Weltraum sehr interessiert. In China existieren Pläne, unter anderem zur nuklearen Stromversorgung einer künftigen Mondbasis. Und die russische Raumfahrtagentur Roskosmos arbeitet seit über zehn Jahren an dem nuklear-elektrischen Raumschlepper. Als Mission "Zeus" soll er ab 2030 binnen weniger Jahre zum Jupiter fliegen. Ein 500-Kilowatt-Reaktor würde die 22 Tonnen schwere Sonde antreiben – sie wäre um ein Vielfaches größer als bisherige Jupitersonden. Doch Sanktionen und Budgetkürzungen entlang des Krieges machen diesen 2021 verkündeten Plan wenig realistisch. Schließlich beschäftigt sich die europäische Raumfahrtagentur ESA in Forschungsprojekten wie "Alumni" und "RocketRoll" mit nuklear-thermischen und nuklear-elektrischen Antrieben. Daran ist auch die Universität Stuttgart beteiligt.

Ein echter Gamechanger für interplanetare Reisen wäre die Kernfusion. Flugzeiten von Wochen zum Mars und einem Jahr zum Saturn wären damit möglich. Ambitionierte Pläne des US-Unternehmens PSS sehen einen "Direct Fusion"-Antrieb vor. Auch die Universität Stuttgart ist auf dem Gebiet von Grundlagenforschungen aktiv. Solange aber echte Durchbrüche bei der irdischen Fusionsforschung ausbleiben, bleiben Fusionsantriebe im All auch noch im Reich der Wünsche. Antriebe auf Basis von Kernspaltung hingegen werden in absehbarer Zeit Einzug in die Raumfahrt halten. Wenngleich die Risiken bestehen bleiben und das Freiwerden von Radioaktivität – in Erdnähe, bei bemannten Missionen auch in Erdferne – verheerende Folgen haben könnte.

(jle)