Das Briefing von c't zur Digitalisierung
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Christian Wölbert Leitender Redakteur, c’t cwo@ct.de | | | |
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das war überfällig: Endlich traut sich mit Hessen ein erstes Bundesland, Bürgerinnen und Bürgern die lästige Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung abzunehmen. In einem Pilotprojekt erhalten zunächst einige Tausend Steuerpflichtige in Kassel einen "Festsetzungsvorschlag". Stimmen sie diesem zu, folgen Steuerbescheid und (in den meisten Fällen) Erstattung automatisch. Mit "Digitalisierung" im Wortsinn hat das auf den ersten Blick wenig zu tun. Im Rahmen des Pilotprojekts werden die Festsetzungsvorschläge auf Papier versendet. Doch das Projekt zeigt, wie aus Digitalisierung Entlastung wird: Die Steuerverwaltung zwingt Bürgerinnen und Bürger nicht mehr, vielseitige Formulare zu studieren und auszufüllen, die größtenteils irrelevant sind. Stattdessen nutzt sie die ihr vorliegenden Daten, um einen hilfreichen Vorschlag zu unterbreiten. Welche Daten die Steuerverwaltung im Einzelnen nutzt und wie Steuerexperten das Vorgehen Hessens beurteilen, lesen Sie unten. In den nächsten Tagen berichten wir auf heise+ ausführlicher über das Projekt. Herzlichst, Ihr Christian Wölbert | | | |
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Das Ende der Steuererklärung? | | | |
Das Bundesland Hessen nimmt im Rahmen eines Pilotprojekts Bürgerinnen und Bürgern die lästige Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung ab: Das Finanzamt Kassel wird in diesem Jahr einigen Tausend Steuerpflichtigen, die bis Ende Juli keine Steuererklärung abgegeben haben, einen "Festsetzungsvorschlag" schicken. Grundlage sind die Daten, die dem Finanzamt bereits vorliegen. Wenn die Steuerpflichtigen einverstanden sind, müssen sie nichts weiter unternehmen und bekommen ihren Steuerbescheid zugesandt. "Das ist deutschlandweit bisher einzigartig", betonte ein Sprecher des hessischen Finanzministeriums gegenüber c't. Häufig wird das Verfahren auch als "Amtsveranlagung" bezeichnet. | | | |
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Auch in den Sozialen Medien wirbt die Hessische Steuerverwaltung für ihr Pilotprojekt zur Amtsveranlagung. (Bild: Hessische Steuerverwaltung) | | | |
Österreich und Dänemark haben es vorgemacht
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Innerhalb Deutschlands ist Hessen mit dem Projekt tatsächlich ein Vorreiter. International sieht es anders aus: Länder wie Österreich oder Dänemark nehmen ihren Bürgern schon seit vielen Jahren einen Großteil der Arbeit rund um die Steuer ab. Österreich führte die "antragslose Arbeitnehmerveranlagung" schon 2017 ein. Viele Steuerpflichtige müssen seitdem keine Steuererklärung mehr abgeben, um eine Erstattung zu erhalten. In Deutschland führte Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls 2017 eine Form der Amtsveranlagung ein. Diese richtet sich allerdings nur an Rentner und muss per Formular beantragt werden. Das hessische Projekt bezieht auch Arbeitnehmer ein und im Idealfall müssen diese gar nichts unternehmen, um eine Erstattung zu erhalten. Welche Daten liegen vor? Wie das neue Verfahren im Detail abläuft, erklärt die hessische Finanzverwaltung auf ihrer Webseite. Ausgewählt für das neue Verfahren werden nur Steuerpflichtige, zu denen "mutmaßlich bereits alle erforderlichen Steuerdaten vorliegen". Auf Anfrage von c't lieferte das Ministerium eine Liste der Daten "mitteilungspflichtiger Stellen", die im Rahmen des Projekts "insbesondere" genutzt werden: • Lohnsteuerbescheinigung (LStB) gemäß § 41b Abs. 1 EStG • Lohnersatzleistungen (LErsL) gemäß § 32b Abs. 3 EStG • Rentenbezugsmitteilung (RBM) gemäß § 22a Abs. 1 EStG • Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (KVPV) gemäß § 10 Abs. 2b EStG • Beiträge zur Basis-/"Rürup"-Rente (RUE) gemäß § 10 Abs. 2a EStG • Beiträge zur Riester-Rente (RIE) gemäß § 10a Abs. 5 EStG • Steuerfreie Zuschüsse/Erstattungen von Behörden und anderen öffentlichen Stellen zu Vorsorgeaufwendungen (ZUS) gemäß § 10 Abs. 4b S. 4 EStG • Elektronische Vermögensbildungsbescheinigung (VL) gemäß § 15 Abs. 1 des 5. VermBGB Wer zusätzliche Angaben (zum Beispiel zu Einnahmen oder Aufwendungen) machen möchte, muss nach Erhalt des Festsetzungsvorschlags selbst aktiv werden und die Informationen mit Elster als "Sonstige Nachricht" an das Finanzamt übermitteln. Eine vollständige Steuererklärung muss man aber auch dann nicht abgeben.
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Experten sehen viele Vorteile, aber auch Risiken
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Bei Expertinnen und Experten stößt das hessische Pilotprojekt überwiegend auf Zustimmung. Begrüßt wurde es zum Beispiel von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), die die Interessen des Personals der Steuerverwaltung vertritt. "Wir freuen uns sehr, dass der hessische Finanzminister Mut beweist und den Weg in Richtung einer vollständig digitalisierten und automatisierten Bearbeitung einfacher Steuererklärungen einschlägt", sagte der DSTG-Bundesvorsitzende Florian Köbler. Der Bund der Steuerzahler sieht ebenfalls Vorteile: Das Modell bringe "eine deutliche Arbeitserleichterung" für die Finanzverwaltung und für die Steuerzahler, sagte die Steuerabteilungsleiterin Daniela Karbe-Geßler gegenüber c't. Sie betonte aber auch das Risiko, dass Steuerzahler "die Angaben ungeprüft übernehmen und steuermindernde Ausgaben vergessen". Dieses Risiko bestehe vor allem dann, "wenn der Vorschlag der Behörde eine auf den ersten Blick akzeptable Steuer ausweist".
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Bayern will nachlegen
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Der hessische Finanzminister Alexander Lorz hat bereits angekündigt, das neue Verfahren nach Abschluss des Projekts künftig hessenweit anzubieten. Das soll zumindest für Steuerzahler gelten, deren Daten "ausweislich der Analyse der letzten Veranlagungsverfahren" vollständig vorliegen. Eine Reaktion aus Bayern ließ nicht lange auf sich warten. Anfang September forderte der bayerische Finanzminister Albert Füracker, ein Vorschlagsmodell in Elster zu integrieren. Ein vom Amt erstellter Entwurf einer Steuererklärung soll so auf den Smartphones der Bürgerinnen und Bürger landen. Wer mit dem Entwurf einverstanden ist, soll per Klick zustimmen können. Diesem Plan müssten allerdings der Bund und die restlichen Länder zustimmen, sagte Füracker. Christian Wölbert | | | |
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Reaktionen: Sechs Thesen zum KI-Einsatz in Behörden | | | |
In der vergangenen Ausgabe von D.digital hatten wir sechs Thesen zum KI-Einsatz in Behörden formuliert. D.digital-Leser Walter Claassen schrieb uns daraufhin: "Da möchte ich die – vielleicht provokative – Gegenfrage stellen, ob denn die Vorgangsbearbeitung durch Menschen stets fehlerfrei ist. Meine Antwort ist: Nein, Menschen machen auch Fehler. Und wenn sich die von Fehlern der Verwaltung betroffenen Bürgerinnen und Bürger wehren, wird das vermutlich einfacher, wenn es ein KI-Fehler ist. Für mich ist ein wichtiger Vorteil des KI-Einsatzes der Zeitgewinn. Den benennen Sie zwar, "entwerten" ihn aber durch Ihre Thesen / Kommentare." Jürgen Renfer schrieb auf LinkedIn zur These #3 (Vernetzte Register und strukturierte Daten sind wichtiger als KI): "These 3️⃣: imho ebenso richtig wie mutig! Register neben der neverending eID-story unverzichtbares Fundament der Verwaltungsdigitalisierung." Christian Imhorst kommentierte ebenfalls auf LinkedIn: "Bei Punkt 2 kommen mir die Gefahren allerdings zu kurz. 'Menschen müssen die Ergebnisse immer kritisch prüfen', ja, aber was ist, wenn Voruteile und Diskriminierung schon in den Daten selbst enthalten oder während des Trainings entstanden sind und bei einer oberflächlichen kritischen Betrachtung des Einzelfalls nicht auffallen? Oder wenn das LLM Korrelationen findet, die erstmal plausibel klingen, aber bei tieferer Betrachtung falsch sind? Wer haftet, wenn Klagen gegen LLM-gestützte-Entscheide wegen mangelder Transparenz und Nachvollziehbarkeit, oder weil die Recherche des LLMs nicht hinreichend auf den Einzelfall eingehen, erfolgreich sind? Bin ich mir auch nicht sicher, ob so eine LLM gestützte Fallbearbeitung dann wirklich Arbeit und Kosten spart." | | | |
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Gastbeitrag von Marc Danneberg, Bitkom | | | |
Digitalisierung: Deutschland darf sich nicht länger durch seine Verwaltung ausbremsen | | | |
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Gastbeitrag | Über den Autor | | | |
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Marc Danneberg ist Leiter Public Sector beim Bitkom e. V. Foto: Bitkom | | | |
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Deutschland liegt im aktuellen Bitkom-DESI-Index zur Digitalisierung nur auf Platz 14 der EU. Ein Achtungserfolg? Nein. Denn während die digitale Wirtschaft solide auf Rang 8 steht und der Netzausbau vorankommt, scheitert der Staat bei der Modernisierung von Verwaltungsprozessen – Rang 21 von 27. Das ist nicht nur ein Rückstand, es ist ein Standortrisiko. Eine leistungsfähige Verwaltung ist kein Selbstzweck, sie ist die Grundlage gesellschaftlichen Vertrauens. Anträge, die wochenlang liegenbleiben, Behörden, die Daten mehrfach abfragen, eine IT-Landschaft, die aus zahllosen Insellösungen besteht – das ist der Alltag. Wenn Bürgerinnen und Bürger im Alltag an komplizierten Antragsprozessen scheitern oder Unternehmen ihre eigenen, digitalen Transformationsprozesse ausgebremst sehen, untergräbt das die Handlungsfähigkeit des Staates. Der Befund ist eindeutig: Ohne strukturelle Reformen wird Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückfallen. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass der Bund in Abstimmung mit den Ländern und Kommunen im Herbst eine Modernisierungsagenda mit Strukturreformen vorlegen möchten. | | | |
"Der Bund muss Kommunen direkt bei Digitalprojekten unterstützen dürfen" | | | |
Damit die Umsetzung der Agenda gelingen kann, sind drei Dinge nötig. Erstens: Der Föderalismus braucht ein Update. Der Bund muss Kommunen direkt bei Digitalprojekten unterstützen dürfen – dafür braucht es eine Reform von Artikel 91c des Grundgesetzes. Gleichzeitig muss es möglich sein, einheitliche und verbindliche IT-Standards und Architekturprinzipien für Bund, Länder und Kommunen durchsetzen zu können. Denn ohne klare Regeln bleibt der Traum von einem einheitlichen Deutschland-Stack – mit zentralen Komponenten wie digitalen Identitäten und Nutzerkonten – ein Papiertiger. Zweitens: Der konsequente Abbau bürokratischer Hürden muss durch strukturelle Reformen flankiert werden. Ein jährliches Bürokratieentlastungsgesetz, verpflichtende Praxischecks in allen Ministerien und eine stärkere Einbindung des Nationalen Normenkontrollrats zur Verhinderung praxisuntauglicher Gesetze würden sofort Wirkung entfalten. Und: Das Once-Only-Prinzip – Daten nur einmal angeben, egal bei welcher Behörde – sollte gesetzlich verankert werden. D.h. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen sollten zukünftig das Recht erhalten, Daten, die bereits in einem öffentlichen Register vorliegen, bei der Beantragung von Verwaltungsleistungen nicht noch einmal angeben zu müssen. Dadurch erhöhen wir den Umsetzungsdruck bei der Anbindung von öffentlichen Registern an das Nationale Once-Only-Technical-System (NOOTS). | | | |
"Wir brauchen jetzt den Mut zu echten Strukturreformen" | | | |
Drittens: Die digitalpolitische Governance der Bundesregierung muss neu aufgestellt werden. Der Koalitionsvertrag schafft dafür die Grundlage. Ein starkes Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung sollte ressortübergreifend Hebelprojekte wie die Registermodernisierung vorantreiben, klare Leitziele definieren und deren Erfüllung transparent messen. Auch beim Geld braucht es Klarheit: Der Finanzierungsvorbehalt des neuen Digitalministeriums muss als strategisches Steuerungsinstrument genutzt werden. Nur wenn Digitalausgaben ressortübergreifend gebündelt und transparent kontrolliert werden, können Doppelstrukturen verhindert und echte Wirkung erzielt werden. Nur so bekommt die Verwaltung die Schlagkraft, die es braucht, um Deutschland im globalen Wettbewerb als verlässlichen Partner und attraktiven Standort zu positionieren. Deutschland steht unter digitalem Zugzwang. Der DESI-Index zeigt: Wir laufen nicht nur hinterher – wir verlieren den Anschluss. Wir brauchen jetzt den Mut zu echten Strukturreformen, um die Bremse bei Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlichem Fortschritt zu lösen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. | | | |
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